22.02.2013

Über das Horn eines Nashornes. Teil II

Der Held
Die Grenze zum Bürgertum ist fließend. (Foto: Canem)
Die Woche vergeht, stressig aber unbedeutend. Am Freitag sitze ich pünktlich wieder im Wartezimmer. Die Sekretärin ist eine andere allerdings ist sie genauso hübsch wie die letzte.

Nach kurzem Warten kommt ein Zweiter Kandidat (meine Konkurrenz?) in meine Warteumgebung. Er wirkt sehr nervös was dazu führt das ich in ihm nicht wirklich eine Konkurrenz sehe. Wir betreiben idiotischen Smalltal. Im Hintergrund erlischt das "amerikanische Firmenkonzept Anfeuerungsgeschrei" und kurze zeit später steht plötzlich, wie aus dem Nichts Herr Kroll neben uns und bittet darum ihm zu folgen. Wir werden zwei unterschiedlichen Mitarbeitern unter die Fittiche gegeben. Ich komme zu einer netten Dame die ich aufgrund meines schlechten Namensgedächtnisses jetzt einfach mal Rita nennen werde. Wir verlassen das Gebäude ich beginne Rita auszufragen und erfahre folgendes: Rita arbeitet seit über 13 Jahren für dieses Unternehmen sie ist die zweitbeste Verkäuferin in ganz Deutschland und wird dafür am Samstag vermutlich eine Mallorcareise in einem noblen Hotel bekommen. Was wir gleich machen werden erfahre ich noch nicht, nur das wir vor beginn der arbeit bei Mc Donalds Frühstücken werden und das dies eine art Ritual zu sein scheint.

Und Tatsächlich als wir das große M erreichen ist der Laden rappelvoll mit Mitarbeitern "unserer" Firma alle witzeln und labern. Mein Mitbewerber sitzt verwirrt an einem der Tische ich versuche zu reden und die 5 Menschen meiner Gruppe ein bisschen kennen zu lernen.

Da hätten wir z.B. den 22 jährigen Andreas, der nach langer Arbeitlosigkeit und gegen den willen seiner Mutter vor drei Monaten bei dieser Firma angefangen hatte. Sein bester Witz ist das es ja bald schon drei Andrease in unserer Firma gäbe (2 + ich). Er wirkt sehr jung und scheint, bis auf die Krawatte mit den Kleiderbestimmungen dieser Firma überfordert zu sein.

An Position Zwei: Melanie! Die ebenfalls seit drei Monaten für das "Horn eines Rhinozerosses" (Firmenlogo) kämpft. Sie wirkt leicht Hyperaktiv trägt zwei Tatoos an gut sichtbaren Stellen wiegt knapp 10 Kilo zu viel, hat blond gefärbte, kurze strubbelige Haare, geht offen mit ihrer Sexualität um und fährt gerne unangeschnallt, schlecht Auto.

Drittens, die unscheinbare Columbianerin die ein stark verbesserungswürdiges Deutsch spricht und den ganzen Tag unglücklich wirken wird. Sie ist still und wird hinter ihrem Rücken von den Kollegen bemitleidet.

Und an Position four der Möchtegern Businessmann, türkischer Abstammung Ranjidt (?) er versucht krampfhaft cool zu wirken und irgendwie immer beschäftigt. Er spielt den enthusiastischen Manager Guy nahezu perfekt. Hat immer coole Sprüche auf Lager, feiert seine Erfolge lautstark, versucht sich jedem Menschen als überlegen darzustellen. Er glaubt das er ein unglaublich spontaner Typ wäre und konzipiert immer wieder kleine Gags die ihm leider immer nur in seiner Coolheit huldigen. Kurzum das abgewichseste Arschloch das mir seit langem begegnet ist. Ich hätte mich gern mit ihm gemessen, allerdings bekam ich ihn heute nur zweimal zu Gesicht (dazu später noch mehr). Ach ja! Er hat anscheinend einen "crush" auf Melanie und spricht wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlt auf Türkisch.

Um 10 Uhr 15 sind wir fertig mit Essen, wir haben fleißig geraucht und begeben uns zum Auto. Mir ist mittlerweile klar das ich einer Promotion - Firma auf den Leim gegangen bin, beschließe aber durchzuhalten, egal wie lange der Tag dauern würde.

Auf dem Weg zu unserem Einsatzort erfahre ich dann endlich Handfestes. Wir werden bei Kunden der Telekom Tarifänderungen durchführen. Für jede Unterschrift, einer Änderung, bekommen wir Geld. Fünfzehn sollten es mindestens sein und sollten "wir" diesen Monat nicht eine Unterschrift bekommen springt der Minimallohn ein: 500€ (brutto. Diese fünfhundert Euro sind nur für den Fall das wir mit der selbstverdienten Provision nicht über fünfhundert Euro kommen) Der Minimallohn wird allerdings bei einer Probezeit von 6 Monaten nicht allzu oft für Rettung sorgen müssen. Die Laune im Auto ist gut, nach einigen von mir gebrachten Gags bemerkt Andreas I das ich ganz schön schräg sei und geradezu perfekt in "unsere" "verrückte Truppe" passen würde. Ich verspüre Brechreiz. Obwohl die meisten in unserem Auto noch nicht mal die Probezeit überstanden hatten legt sich ein hauch von Nostalgie über uns. Gemeinsame Erlebnisse passieren Revue und man erinnert sich an das erste Treffen, wo man genau so war wie ich: skeptisch und verwirrt. Ich denke mir "crazy!"

Wir kommen an in einem relativ großen, unbekannten Ort namens Möhring. Die Unbekanntheit dieses Ortes hängt vermutlich mit den sozialen Verhältnissen zusammen die hier herrschen. Noch während der Einfahrt entdecke ich duzende halbnackte Kinder die in schmutziger Kleidung auf den Straßen spielen, oder urinieren. Alles erinnert mich stark an die düsteren Bilder von Scorsese Filmen, ich wusste nicht das es so etwas in Deutschland gibt. Man erklärt mir, dass man hier am leichtesten Kohle machen könne und freut sich auf einen profitablen Tag. Unsere zwei Autos halten, man steigt aus und plant die Gruppenverteilung. Ich stehe am Rand und zähle die Sattelitenschüsseln an den Plattenbauten.

Dann gehen wir los, ich gehe mit Rita und Andreas I es dauert lange bis wir das erste Gebäude betreten. Es kommt mir vor als würden die beiden die Gebäude genau unter die Lupe nehmen. Die Balkone werden beäugt und die Rauchergrüppchen die sich in Unterhemden vor den Eingangstüren sammeln. Dann betreten wir ein 13 Stock Gebäude. Der Hausflur befindet sich Draußen alles sieht ein bisschen aus wie amerikanische Stunden-Slum-Hotels, durch deren Türen Polizisten mit Shotguns beschossen werden. Ich und Rita fangen ganz oben an Andreas I ein Stockwerk unter uns es wird beschlossen immer ein Stockwerk zu überspringen damit es fair bleibt.

Wir beginnen. Es wird penibel darauf geachtet das das Licht im Hausflur brennt. Ich stehe immer knapp hinter Rita gucke unbetroffen oder cool. Das Haus ist scheiße! Flucht sie. Wir bekommen nicht eine Unterschrift. Alle knallen uns die Tür vor der Nase zu oder sagen nein danke. Obwohl wir keinen Erfolg hatten kenne ich Ritas Erfolgrezept (ein paar Standartsätze) schon nahezu auswendig:

"Guten Tag/Hallo, hier ist die deutsche Telekom! Keine angst, nichts schlimmes wir sind nur hier um Sie zu informieren das die deutsche Telekom seit dem 1.4.2005 ihre Tarifstruktur geändert hat! Das heißt für Sie als Kunde es wird nicht teurer sondern billiger! Wir wollten einmal fragen, ob das bei Ihnen jetzt schon durchgeführt wurde. Könnte ich zu diesem Zweck mal Ihre letzte Rechnung sehen?"

Wir gehen aus dem Gebäude raus, rauchen und warten auf Andreas I, der Aufgrund seiner langen Abwesenheit offenbar mehr Glück als wir hatte. Nach dem Streicheln eines Hundewelpens beschließen wir schon mal im nächsten Gebäude (direkt daneben) weiterzumachen. Jetzt ist es endlich so weit! Ohne sich zu fragen ob wir den wirklich von der Telekom sind lässt er uns eintreten (Unsere beweise sind ein Telekomhalsband und ein Zettel in dem die Deutsche Telekom uns ausdrücklich erlaubt unseren job zu tun. Letzteres könnte allerdings auch eine plumpe Fälschung sein. (Sie ist keine Fälschung!)). Die Wohnung stinkt nach Urin oder nach etwas das wie Urin riecht. Sie ist erbärmlich leer, wirkt aber dennoch sauber. Der Hausherr ist ein dürrer, freundlich wirkender Türke der aus irgendeinem Grund einen mit Angst verbundenen Respekt vor uns hat. Er schickt seine zwei Kinder in das Nebenzimmer und entschuldigt sich für sie (sie hatten nichts gemacht). Er bittet uns auf einem billigen Sofa platz zu nehmen und verlässt den Raum. Nach 4 minütiger Wartephase in der ich mir die Armbanduhr die auf dem Tisch lag, locker hätte einstecken können kommt er zurück mit einem Koffer der die Bürokratie seines Daseins birgt. Er kramt ein wenig und reicht uns eine Rechnung. Rita blick sie an, tut so als würde sie irgendwas prüfen (Das was es zu prüfen gibt lässt sich wie ich später herausfinde innerhalb von 3 Sekunden herausfinden.). Sie lässt sich Zeit, es soll Wirkung haben schließlich sagt sie: "Ach ja, da sehen Sie die Änderung hat bei Ihnen noch nicht stattgefunden! Wie würde es Ihnen gefallen wenn Sie von nun an für Gespräche in ihrer Stadt nichts mehr bezahlen müssten und wenn Gespräche innerhalb Deutschlands für zwei stunden oder am Wochenende sowie Feiertags auch kostenlos wären?" Der Mann sagt das es ihm gut gefallen würde, ist allerdings mit Verweis auf das Fernsehen skeptisch gegenüber solchen Angeboten. Er fragt ob denn etwas anderes dafür teurer wird. "Nein" antwortet Rita und in diesem Moment wird die eigentlich einzige nette Person in dieser Firma ebenfalls zu einer Bitch. Die Grundgebühren steigen empfindlich und würden nach der Vertragsänderung die Standardtelfonrechnung des Mannes um satte 5 Euro erhöhen! Diese Tatsache findet keine Erwähnung und so kommt es, dass der Mann den Vertrag der keiner ist, nur so fast, unterschreibt ohne ihn sich durchzulesen. "Es könnte sein das Sie heute oder morgen noch mal von uns angerufen werden. Das muss Sie nicht überraschen. Die machen das manchmal stichprobenartig, um herauszufinden ob ich denn wirklich da war." Sagt sie kurz vor der Verabschiedung. Später erfahre ich das jeder der Unterschreibt auch angerufen wird. Wir gehen raus. Der Mann ist glücklich und vermutlich wird ihm, wenn überhaupt, erst bei der übernächsten Rechnung auffallen, das er nicht wirklich etwas spart, uns dafür bzw. Rita soeben 20 Euro eingebracht hat. Wir machen das Haus zu Ende. Es läuft gut wir Verkaufen an einen Behinderten, der nicht laufen oder richtig sprechen kann, an eine Türkische Mutter, die so gut wie kein Wort Deutsch versteht und ihn Ihrer für türkische Verhältnisse, unglaublich verschmutzen Wohnung, gleichzeitig gegen 5 Kinder ankommen muss, an alte, einsame Damen, die in der Telekom ein DEUTSCHES Qualitätsunternehmen sehen und Bayerntagesdeckchen unter ihren Telefonen liegen haben und dann kommt endlich eine Pause. Wir sitzen alle Drei vor einem riesigen, aufgebrochenen, metallenen Ei, welches den Mittelpunkt der Möhringer Einkaufsmeile bildet. Wir essen Mirabellen die ich gekauft habe. Andreas I versucht sich mit mir anzufreunden, ich versuche das zu verhindern. Rita erzählt mir das sie damals angefangen hat Premiere - Abos unter die Leute zu bringen und das, das ein Scheißgeschäft wäre, weil die Leute auf Premiere scheißen würden. Dann zog sie für die Firma nach Österreich und verkaufte dort schlechte Bücher an Gaststätten und Hotels. Aus familiären Gründen kam sie Anfang des Jahres nach Deutschland zurück und machte mit Telekom weiter was, wie sie sagte, dass beste Geschäft wäre, da die Leute, die wir bearbeiten, eh schon Kunden bei der Telekom sind und wir ihnen so vertrauter kommen können. Das ist war:

Rita: "Sie sind doch Kunde bei der Telekom, richtig?"
Kunde: "öhm Nöö!"
Rita: "Oh da hat wohl der Computer einen Fehler gemacht, Entschuldigung"
(Totaler Scheißdreck - der Autor).

Danach wird sich gemeinsam darüber beömmelt, dass es so viele gutgläubige Menschen gibt. Ich lache mit, denke allerdings "Fickt euch!" "Leute über 80 dürfen wir nicht belabern die haben meistens gar keine Ahnung was sie da Unterschreiben und wir wollen ja Fair bleiben" … Das es allen bisherigen "Kunden" aufgrund von Irreführung genauso ging wird nicht erwähnt und erzeugt noch nicht mal eine kurze Gesprächspause.

Nach der Pause geht es weiter. Laut Angaben aller läuft es heute sehr gut. Die Folgenden Stunden sind das übliche. E ist immer derselbe Sceiß, dasselbe Gespräch, die gleiche Abzocke. Ich werde müde und als Rita ihr Wunschergebnis von 20 Unterschriften erreicht, beginnt sich menschlich zu werden. Sie verkauft nur noch an Kunden, die die Änderung wirklich gebrauchen können und versucht sich an kleinen Firmen, denen sie auch im schlimmsten Falle nicht wirklich schaden wird. Irgendwann wird dann beschlossen zurück zum Auto zu gehen, "weil es denn nun reiche". Wir sammeln uns vor dem Auto an einer kleinen Mauer. Die lautstark spielenden Kinder werden von Ranjidt mit den Worten vertrieben "Verpisst euch, hier arbeiten Leute. Es ist nicht wie bei euren Eltern!" Melanie kichert. Alle geben die Aufträge an das Callcenter weiter, wo die gesammelten Daten dann an die Telekom weitergegeben werden. Ich sitze leicht abseits, beobachte "meine" Gruppe und eine größere Ansammlung kopulierender, rotschwarzer Wanzen. Das Team wirkt erschöpft die Columbianerin hat nur eine Unterschrift bekommen und hatte sich verlaufen. Sie wirkt traurig, wie ein Mensch der weiß, dass er bald seinen Job verliert. Ich habe Mitleid mit ihr. Ranjidt hat heute den Gruppenrekord von dreißig Unterschriften. Er ist gut gelaunt und fragt zwei Mädchen wo denn hier die "Wildschweinrennbahn" ist. Diese zeigen ihm den Mittelfinger woraufhin er ihnen auf Türkisch etwas hinterher brüllt. Die Antwort erfolgt ebenfalls auf Türkisch, ich verstehe nichts. Die scharf klingenden laute lassen allerdings darauf schließen, dass es kein Austausch von Nettigkeiten war. Als alle fertig sind fragt mich Rita "ob ich mir denn überhaupt vorstellen könne so etwas zu machen?" wenn ja würde sie mir beim Chef ihre Empfehlung aussprechen. Ich antworte, das ich mir das gerne über das Wochenende überlegen würde. Sie sagt "ach so" und lässt mich von nun an spüren das ich abgehakt bin. Sie hat recht. Wir fahren zurück nach Leverkusen alle sind müde, im Auto wird wenig gesprochen. Wir halten vor dem Firmengebäude, ich verabschiede mich artig und gehe zum Bahnhof. Dort angekommen beginnt ein Gewitter, es regnet.

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