In der Fußgängerzone einer klassischen, deutschen Kleinstadt sitzt Bettina vor den abgeschalteten Kugelbrunnen und beobachtet wie ein Betrunkener seine Zigarette in einer der Brunnendüsen ausdrückt. Bettina ist hübsch. Auf ihrem Schoß liegt das Buch: Ende gut ... von Sibylle Berg. Würde man sie fragen, wie sie es findet, sie würde sagen: 'Sehr gut, aber viel zu anstrengend.' Der Betrunkene stolpert ins Off und John betritt die Szene. Gefühlt halb so alt wie Bettina, Undercut und vollgefressen.
John: 'Ouff! ich setz mich mal dazu.'
Bettina: 'Wenns denn sein muss.'
John: 'Hab grad aus versehen zwei Döner bestellt und wollte das überflüssige jetzt nicht einfach wegwerfen. Verschenken konnte ich es nicht, unsere Obdachlosen zieht es ja eher in die Metropolen.Versuchen sie so mal jemanden zu finden der ein Umsonst-Döner annimmt.'
Bettina : 'Sie meinen die gehen alle nach Köln?'
John, reibt sich den Bauch und blickt auf den Brunnen aus dessen Düse leichter Rauch quillt. Anscheinend brennt die Zigarette des Betrunkenen noch: 'Naja, von mir aus auch Köln. Was treiben sie hier? Ich kann mir kaum vorstellen das sie hier die Aussicht genießen.'
Bettina : 'Nein. Ich habe versucht zu lesen.'
John: 'Oh lesen! Das Hobby der Nörglergeneration. Was lesen Sie denn?'
Bettina : 'Ende gut ... von Sibylle Berg.'
John: 'Und wie ist es.'
Bettina drückt sich ins Hohlkreuz: 'Sehr gut!' Eine kurze Pause entsteht und Bettina sackt wieder in sich zusammen: 'Wissen Sie, ich hatte neulich Urlaub, das ist wenn man nicht arbeiten muss.'
John: *rülpst mit geschlossenem Mund*
Bettina : 'Und wenn man als aufgewachsener Urlaub hat, macht man sich immer Gedanken über sich selbst und son Blödsinn. Was will ich noch vom Leben? Was vernachlässige ich? Wie will ich sein? Denn und das ist für Sie jetzt eventuell ein Hammer, diese verkackte Selbstfindung hört nie auf im Leben, glaube ich zumindest. Bin ja jetzt keine 90 oder so, aber immerhin schon 30. Also ein bisschen sollte ich mich auskennen.' Bettina starrt kurz ins leere. 'Man macht das, während seines Urlaubes, weil man vorher einfach keine Zeit für derarte Gedanken hat. Sie wissen: Fitnesstudio, Saufen, Arbeiten, blablabla. Einfach immer nur Stress.'
John: 'Etwas derartiges hatte ich bereits befürchtet als ich 19 wurde und sich einfach nichts veränderte.'
Bettina: 'Wann wurden Sie 19?'
John: 'Letzte Woche.'
Bettina: 'Oh.'
Bettina such mit den Augen kurz nach ihrem letzten Gedanken um fort zu fahren. Sie findet ihn: 'Es wird nur noch schlimmer! Das verspreche ich Ihnen. Jedenfalls, hatte ich dabei so das Gefühl, ich lese zu wenig. Mann kann sich nicht als Intelektual positionieren und immer nur über die Schullektüren sprechen, Macbeth, Homo Faber, die Verwandlung, dieser Scheiß, sie verstehen?'
John: 'Sicher.'
Bettina : 'Also, hab ich mir gedacht, nutz den Urlaub zum lesen. Lies ein Buch! Etwas mit Anspruch, weil ich lese ja sonst nicht. Ich bin dann in einen Buchladen gegangen dafür. Nicht über Amazon! Nein! In einen richtigen Buchladen, mit Staub und unfreundlichem Verkäufer. Jedenfalls habe ich mir da drei Bücher gekauft. Zwei schwere und ein leichtes. Die Idee dahinter war, im Urlaub erstmal die schweren zu lesen. Um eben den Geist zu beflügeln und son Scheiß. Das leichtere war dann zum anfixen für nach dem Urlaub. Damit es mehr Spaß macht. Positive Reinforcement eben.'
John: 'Und? Hat es geklappt?'
Bettina: 'Nunja.. Die beiden schweren hab ich gelesen.'
John, schockiert: 'Und Sibylle Berg soll leicht sein?'
Bettina: 'Nein. Ich hab es nur mitgenommen weil... weil ich das leichte nicht mehr lesen mag. Es ist einfach langweilig. Sibylle Berg habe ich nur dabei um intelligent zu wirken. Das andere Buch liegt zu Hause, halb gelesen.'
John: 'Also war es schlecht?'
Bettina : 'Nicht wirklich. Einfach nur mega langweilig oder zu lang. Ich bin da gar nicht sicher. Ich glaube Unterhaltungsliteratur ist immer zu lang. Ich hab überhaupt keine Lust mehr den Müll zu lesen. Ich meine wer braucht 500 Seiten für ne blöde Geschichte? Ich sehe die Zeit als verschwendet. Ich denke das ist auch der Grund für mein Problem. Anspruchsvolle Bücher belasten mich zu sehr in meinem Alltag und diesen Schund will ich überhaupt nicht lesen. Ich meine wofür gibt es Kinos? Bücher können für mich kein Kurzweil sein, da ich Tage an ihnen lese. Sie müssen mir einen deutlichen Mehrwert bieten. Leider ist Unterhaltung immer nur Massenware. Und so bleiben mir die Sibylle Bergs dieser Welt und dieses fade, deprimierte Gefühl beim lesen eines guten Buches. Wer sich wie 70 fühlen möchte, sollte übrigens das Schloss lesen.'
Bettina resigniert und schweigt einige Sekunden. John stößt erneut auf. Es herrscht stille. Vereinzelt zwitschern einige Spatzen.
Bettina steht auf. John sieht zu ihr auf: 'So ist es und das habe ich heute realisiert und das finde ich schade. Sehr schade. Auch wenn ich ein wenig stolz darauf bin so anspruchsvoll zu sein.'
John: 'Hmm. Interessant.... denke ich.'
Der Betrunkene tritt zurück in die Szene. Er torkelt langsam an eine der Brunnenkugeln und übergibt sich darauf, so das die Kotze gleichmäßig an ihr herabläuft, ähnlich einer Melasse.
John, hat einen Geistesblitz: 'Da fällt mir ein, ich hab ne Playstation zu Hause, wollen wir zu mir gehen und ungeschützt Ficken?'
Bettina : 'OK'
Ende.
Buchlinks:
"Ende Gut ..." auf Amazon
Macbeth
Homo Faber
Die Verwandlung
Das Schloss
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